Gastkommentar: Der Energiemarkt braucht eine Korrektur

Mai 11, 2022

Die Regierung diskutiert Lösungen für die hohen Gas- und damit auch Strompreise – das wurde auch Zeit.

Die Liberalisierung des europäischen Strommarkts ist eine Erfolgsgeschichte. Das mehr als 20 Jahre alte System an Marktregeln hat zu Versorgungssicherheit und niedrigen Strompreisen geführt und so zum Wohlstand der EU-Bürger beigetragen. Da ist es grundsätzlich nur verständlich, dass die Agentur der europäischen Energieregulatoren (ACER) vorige Woche davor warnte, die Marktregeln zu verändern.

Allerdings ist die Situation am europäischen Strommarkt zuletzt völlig aus dem Ruder gelaufen. Dessen Funktionsweise hat zu einer indirekten Kopplung des Strompreises an den Gaspreis geführt. Seit Mitte des vorigen Jahres, insbesondere aber seit dem Beginn des russischen Kriegs in der Ukraine und der damit entstehenden Krise auf dem Gasmarkt, haben sich die Großhandelspreise für Strom gegenüber dem langfristigen Mittel zumindest verfünffacht, an manchen Tagen sogar verzehnfacht. Die Mehrkosten für die österreichischen Verbraucher und Betriebe gehen in die Milliarden.

Es braucht eine gesamteuropäische Lösung

Gleichzeitig erwirtschaften Energieversorger mit abgeschriebenen Wasserkraftwerken astronomische Gewinne. Nun reagiert die Politik: Bundeskanzler Karl Nehammer hat in einem aufsehenerregenden Artikel in der „Tiroler Tageszeitung“ Steuern auf Zufallsgewinne („Windfall Taxes“) für teilstaatliche Energieversorger ins Spiel gebracht. In ihrer Kommunikation vom 23. März hat die EU-Kommission eine Diskussionsgrundlage für mögliche Lenkungsmaßnahmen der Politik vorgelegt. Sieht man von den bereits angekündigten direkten Entlastungsmaßnahmen ab, ergeben sich im Wesentlichen drei Möglichkeiten, um gegenzusteuern:

Erstens eine direkte Deckelung der Endkundenpreise. Diese Lösung wäre wohl auf den ersten Blick populär. Allerdings wurde sie in Großbritannien bereits umgesetzt und führte dort reihenweise zu Insolvenzen von Energieversorgern in Kombination mit einer massiven Verunsicherung der Kunden. Der Schaden für den Wettbewerb am britischen Energiemarkt und somit für die Konsumenten ist dauerhaft. Diese Maßnahme ist daher jedenfalls nicht zielführend.

Zweitens eine „Windfall Tax“ auf Zufallsgewinne der Energieerzeuger kombiniert mit einer Verteilung der Einnahmen auf „die, die es brauchen“, und massiven Förderungen für Energieeffizienzmaßnahmen in Haushalten und Betrieben. Diese Lösung wurde in anderen Ländern wie Spanien und Italien bereits umgesetzt, löst aber das Problem der hohen Strompreise nicht. Zudem führt sie zu schwierigen Verteilungsfragen und zu einem hohen administrativen Aufwand bei der Umsetzung.

Drittens eine Subventionierung des Gaseinkaufs der Gaskraftwerke. Damit würde das falsche, preisbestimmende Marktsignal, das die Gaskraftwerke derzeit setzen, korrigiert werden. Die Strompreise würden sofort sinken. Diese Lösung wurde in den vergangenen Wochen von Spanien und Portugal als „Iberische Ausnahme“ mit der EU verhandelt und soll nun rasch umgesetzt werden. Auch für Österreich wäre das ein sinnvolles Modell, aber aufgrund der engen Verzahnung mit dem europäischen Strommarkt nur in einer gesamteuropäischen Lösung umsetzbar.

Deutschland und die Niederlande überzeugen

Die Stimmen für das dritte Modell mehren sich. So hat sich am Sonntag erstmals auch die Wirtschaftskammer für temporäre, regulatorische Eingriffe zur Entkopplung des Strommarktes vom Gasmarkt ausgesprochen. Doch der Weg für die Umsetzung dieses Modells scheint noch weit, unter anderem müssten Deutschland und die Niederlande, die bisher stark gegen jegliche Eingriffe in den Strommarkt waren, von der Sinnhaftigkeit dieses Modells überzeugt werden.

In der Zwischenzeit liegt es an den Energieversorgern selbst, kurzfristige Vorschläge für die Entlastung der Kunden vorzulegen, wollen sie eine „Windfall Tax“ vermeiden. Möglich wäre beispielsweise ein Maßnahmenbündel von hohen freiwilligen Unterstützungsleistungen für energiearme Haushalte, massiven Investitionsförderungen für Energieeffizienzmaßnahmen von Verbrauchern und Betrieben sowie Sonderausschüttungen von Krisengewinnen. Um die bereits aufgeheizte öffentliche Stimmung zu drehen, gilt hier wohl aber die Devise „klotzen statt kleckern“.

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