Gastkommentar: Steigende Strompreise: Wir brauchen ein Energie-„Konklave“

Jul 14, 2022

Es droht ein Desaster, das Österreichs Haushalte und Betriebe Milliarden kostet. Doch es gibt regulatorische Lösungen, siehe Spanien, man muss sie nur wollen.

Vier Argumente werden von Skeptikern des spanischen Modells des Preisdeckels häufig genannt. Lukas Stühlinger, Fingreen-Geschäftsführer und ehemaliger Oekostrom-AG-Vorstand, räumt sie im Gastkommentar aus.

Die Situation hat sich in den letzten zwei Wochen weiter verschärft. Der Preis, zu dem Strom für den kommenden Dezember gehandelt wird, ist zuletzt auf über 50 Cent pro Kilowattstunde angestiegen, das ist das Zehnfache des langjährigen Mittels. Auf ein Jahr hochgerechnet würde das für einen durchschnittlichen österreichischen Haushalt Mehrkosten gegenüber dem Vorjahr von rund 1700 Euro bedeuten – und zwar nur für Strom, von den Gaskosten noch gar nicht zu sprechen. Und das, obwohl die Erzeugungskosten für Wasserkraft, Windkraft und Solarenergie nicht gestiegen sind. Kein Wunder also, dass in der Politik die Rufe nach Lösungen lauter werden.

Der Grund für die massiv gestiegenen Preise liegt im europäischen Strommarktdesign, das – wie man jetzt weiß – bei hohen Gaspreisen irrational übersteuert. Denn der Marktpreis bestimmt sich nach dem teuersten noch abgerufenen Kraftwerk – und das ist eben derzeit meistens ein Gaskraftwerk. Und so machen die Gaskraftwerke, die in Österreich nur für 15 Prozent der Erzeugung verantwortlich sind, den Strom für alle teuer.

Subventioniertes Gas

Doch eine Lösung für dieses Problem wurde bereits gefunden und in der EU auch schon umgesetzt, und zwar in Spanien. Dort hat man – im Einverständnis mit der EU-Kommission – die Gaskraftwerke über eine Umlage auf den Strompreis subventioniert und so die Preise am Großhandelsmarkt gesenkt. Der Strompreis für den kommenden Dezember liegt dort bei 15 Cent pro Kilowattstunde, verglichen mit den 50 Cent bei uns. Auch nach Berücksichtigung der Umlage kommt man dabei auf substanzielle Einsparungen.

Dennoch kommt die politische Diskussion in Österreich dazu nicht recht vom Fleck. Skeptiker des spanischen Modells führen im Wesentlichen vier Argumente ins Feld:

Erstens würde die Maßnahme Milliarden an Steuergeld verschlingen. Dieses Argument geht aber ins Leere, denn Spanien hat das Modell nicht aus Steuergeld finanziert, sondern aufkommensneutral über eine Umlage auf den Strompreis für Endverbraucherinnen und Endverbraucher. Dazu gibt es in Österreich mit der Ökostromumlage bereits ein funktionierendes System, das man anwenden könnte.

Kein Mehrverbrauch

Zweitens, meinen Skeptiker, habe das Modell in Spanien seit seiner Einführung zu einem deutlichen Mehrverbrauch von Gas geführt, und das sei gerade in der aktuellen Situation kontraproduktiv. Ein Blick in die Daten des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber widerlegt dieses Argument. Die spanischen Gaskraftwerke haben wegen geringen Windaufkommens in der Tat für zwei Wochen im Juni mehr produziert. Seit Ende Juni ist die Produktion aber wieder im Normbereich.

Drittens, so wurde auch im gestrigen STANDARD argumentiert, würden durch das Modell die Marktsignale außer Kraft gesetzt und der Ausbau der Erneuerbaren behindert (siehe „Für & Wider: Wenn der Staat den Preis macht“). Dem steht entgegen, dass der Umstieg auf Erneuerbare ja genau durch stromgeführte Technologien wie die E-Mobilität, Wärmepumpen und Wasserstoff gelingen soll. Gerade dazu muss eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis erfolgen.

Kreative Lösungen

Und viertens wird argumentiert, dass das spanische Modell nur im Einklang mit den angrenzenden Strommärkten, insbesondere Deutschland, umgesetzt werden kann. Das kann sehr wohl sein, wurde aber bisher nicht abschließend untersucht. Alle bisher diskutieren technischen Lösungen basieren auf dem Status quo, die EU-Kommission aber hat am Beispiel von Spanien gezeigt, dass sie kreativen Lösungen offen gegenübersteht. Zwei Strompreise, einer für den Heimmarkt und einer für den Stromimport und Stromexport, in Kombination mit einem Single-Buyer-Modell könnten hier möglicherweise Abhilfe schaffen.

Eine Lösung für das Strompreisproblem ist komplex, aber nicht unmöglich – im Zweifel eben im Verbund mit anderen europäischen Ländern. Was es jetzt braucht, ist ein „Konklave“ der wichtigsten Expertinnen und Experten im Land zu Erarbeitung einer Lösung, das erst endet, wenn „weißer Rauch aufsteigt“. Denn es geht um viel.

https://www.derstandard.at/story/2000137421075/steigende-strompreise-wir-brauchen-ein-energie-konklave