Gastkommentar: Vertane Chance: Die Krise auf dem Energiemarkt bleibt

Sep 15, 2022

Der Gesetzesvorschlag der EU löst strukturelle Probleme bei Strom und Gas nicht.

Nach intensivem Ringen beim Gipfel der Energieminister waren die Erwartungen groß. Die EU-Kommission hat noch am Abend des Gipfels angekündigt, dass ihre Beamten über Nacht durcharbeiten werden, um rasch einen detaillierten Gesetzesvorschlag zur Lösung der Energiekrise vorzulegen. Herausgekommen ist dabei ein überraschend schmales Paket, das die Verantwortung für die Bewältigung der Krise wieder in die Hände der Mitgliedstaaten legt. Eines wird beim Lesen klar: So werden sich die strukturellen Probleme an den Energiemärkten nicht lösen lassen.

Das nun vorliegende Gesetzespaket umfasst im Wesentlichen drei Maßnahmen: eine Reduktion des Energieverbrauchs; eine Übergewinnabschöpfung der Stromerzeuger; eine Solidaritätsabgabe der Öl- und Gasfirmen. Für die detaillierte Ausgestaltung aller drei Maßnahmen sind aber die Mitgliedstaaten verantwortlich, die EU gibt nur einen Rahmen vor. Wenn Sie Gefallen an diesem Artikel gefunden haben, loggen Sie sich doch ein oder wählen Sie eines unserer Angebote um fortzufahren.

Der erste Teil des Gesetzesvorschlags, die Umsetzung von Energiesparmaßnahmen, gibt zwar mit zehn Prozent einen Zielwert vor, eine Verpflichtung zur Umsetzung gibt es aber nur für die Reduktion der Stromspitzen, eine Pönalisierung sucht man vergeblich.

Abschöpfung von Übergewinn

Der zweite Teil des Pakets wird als „Cap on market revenues“ bezeichnet, ist aber in Wirklichkeit eine Übergewinnabschöpfung für Stromerzeuger. Konkret sollen alle Erträge von Stromerzeugern über einem Preis von 18 Cent pro Kilowattstunde wegbesteuert werden.

Die Erträge aus der Maßnahme fließen den Mitgliedstaaten zu, die diese zur Umsetzung von Förderkonzepten wie der Strompreisbremse oder Förderungen für energieintensive Betriebe verwenden können. Die Maßnahme per se mag sinnvoll sein, allerdings sind Übergewinnbesteuerungen ohnehin bereits in mehreren Mitgliedstaaten umgesetzt worden. Auch in Österreich gibt es dazu schon Überlegungen. Wesentlich ist aber, dass die strukturellen Probleme auf dem Strommarkt dadurch nicht gelöst werden. Weiterhin werden Unternehmen knappe 50 Cent für eine Kilowattstunde Strom bezahlen und gleichzeitig darauf hoffen müssen, dass sie eine Förderung bekommen.

Gemeinsamer Schirm fehlt

Auch die Situation an den Energie-Derivatemärkten mit massiven Preisausschlägen, die zuletzt die Wien Energie zu spüren bekommen hat, wird sich dadurch nicht entspannen. Besonders bitter ist aber, dass sich die EU nicht dazu durchringen konnte, einen gemeinsamen Finanzierungsschirm über die Energiemärkte zu spannen. Dieser wird aufgrund der Krise an den Energie-Derivatemärkten dringend benötigt, die Diskussion dazu wird aber nun wieder auf die nationale Ebene verlagert.

Nach dem Gipfel war bekannt geworden, dass sich die EU-Energieminister nicht zu einer Begrenzung der Gaspreise durchringen konnten. Zumindest hat man aber als dritten Teil des Gesetzespakets eine 33-prozentige Solidaritätsabgabe für die Übergewinne der Öl- und Gasindustrie verankert.

Die EU hätte die Möglichkeiten gehabt, auch ohne direkten Eingriff in das Marktmodell, das als Merit Order bekannt ist, Maßnahmen zu einer raschen Senkung der Strompreise zu ergreifen. Diese Chance wurde vertan. Nun liegt der Handlungsauftrag wieder bei der österreichischen Regierung, die das vorliegende EU-Paket jetzt rasch umsetzen muss. Auch sollte Österreich stärker als bisher darauf drängen, dass die strukturellen Probleme des Energiemarktes von der EU rasch behoben werden.

https://www.diepresse.com/6190415/vertane-chance-die-krise-auf-dem-energiemarkt-bleibt